bremer kriminal theater
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             Das SPANNENDSTE Theater Bremens...

 

Mizzi Meyer

DER TATORTREINIGER

Heiko Schotte, genannt Schotty, macht Hausbesuche der besonderen Art. Sein Arbeitsalltag findet vornehmlich statt zwischen Blutlachen, die aus Teppichen oder Sofas entfernt werden wollen, in vier Wänden, von denen wenigstens eine  gern einmal auch mit kleinen Gehirnpartikeln übersät ist. 
 
Augen auf bei der Berufswahl! möchte man sagen. Aber Schotty ist da unempfindlich. "Meine Arbeit beginnt da, wo andere sich vor Entsetzen übergeben", sagt e
r und zückt seine Wurststulle. Empfindlich ist er nur, wenn ihn jemand "Putzer" nennt. Dann wird er fünsch und erklärt mit Nachdruck, dass das Berufsbild eines Tatortreinigers nichts, aber auch gar nichts mit dem eines gemeinen Putzers gemein hat.
 
Das Schöne an seinem Beruf aber ist  die Abwechslung. Man kommt rum. Und man lernt Leute kennen. Hinterbliebene: Verwandte, nahe, entfernte oder auch gar nicht Bekannte. Schwierige Begegnungen mitunter, weil Menschen trauern, schwierig manchmal auch, weil sie nicht trauern. Aber Schotty ist nicht nur kauzig, er ist auch Menschenfreund. Und so wird jede noch so skurrile Begegnung zu einem Gewinn. Für ihn. Fürs Gegenüber. Für uns.



Als der NDR im Jahr 2011 die erste Staffel des "Tatortreinigers" produzierte, erhielten die Folgen im Weihnachtsnachtprogramm einen so entlegenen Sendeplatz, dass sich so gut wie keine Zuschauerresonanz einstellen wollte. Man konnte den Eindruck gewinnen, der NDR hatte selbst nicht ganz begriffen, was für ein Juwel der Serienunterhaltung da gelungen war.

Über die sozialen Netzwerke aber entstand in einer explosiven Mischung aus Empörung und Unterstützung schnell ein Nimbus als Geheimtipp, der die Einschaltquoten bis zur Wiederholung der ersten Folge im Januar von 50.000 auf 670.000 emporschnellen ließ.

Doch erst als die Serie 2012 für den Grimme-Preis nominiert wurde, entschied man sich beim NDR, weitere Folgen zu produzieren. Und damit nahm die Geschichte des Hypes unaufhaltsam ihren Lauf. Bis 2018 produzierte der NDR sieben Staffeln mit zusammen 31 Folgen dieser Serie, die sich schnell zum Kult entwickelte.

Drei Folgen aus dem reichhaltigen, sieben Staffeln umfassenden Fundus dieser Kultserie haben wir ausgewählt, um sie für das Theater aufzubereiten. Und da im Tatortreiniger "Psychodrama und Komödie nah beieinander" liegen (Süddeutsche Zeitung), das Ganze letztlich "ein von seinen Schauspielern getragenes Kammerspiel" (Hamburger Abendblatt) ist, eignet sich der Stoff ausgezeichnet dazu, auch auf der Bühne seine Wirkung zu entfalten.


 
Mit: Mateng Pollkläsener, Janina Zamani und Denis Fischer
Regie: Ralf Knapp

Premiere nicht am 18. Dezember 2020,
sondern am 11. Juni 2021


Die Geburt der Komödie aus dem Geiste des Wurstbrots.
Wie ich mir eine Theaterkritik wünschen würde.
von Ralf Knapp

Ganz ruhig entwickelt der Abend seinen Erzählrhytmus. Beinahe kontemplativ. Schotty packt in aller Ruhe seine Reinigungsutensilien aus, zieht sein weißes Ganzkörperkondom an - um sich dann erst einmal seinem Wurstbrot zu widmen. Mit der Gelassenheit desjenigen, der diese Vorgänge schon tausendmal absolviert hat, geht Schotty - und mit ihm sein Darsteller Mateng Pollkläsener, schließlich seine Aufgabe an. Schnell ist klar: Dieser Schotty ist nicht der hellste. Er ist auch nicht der schnellste. Aber er hat sein Herz auf dem richtigen Fleck. Hier ist jemand am Werk, der im Boden fest verwurzelt ist, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt und der seinem Publikum von Anfang an deutlich macht: wenn ihr euch auf mein Tempo nicht einlasst, wird euch der Abend keine Freude bringen. Wenn aber doch, dann belohnt Mateng Pollkläsener sein Publikum auf seine Weise, denn dann nimmt er, mit einem Humor, der so trocken ist, dass es staubt, die Zuschauer mit auf seinen sehr eigenen Trip.

Und wo das zwangsläufig Entfaltende des Theaters ohnehin keine Chance hätte, dem Schnitttempo des Fernsehens zu folgen, füllt Denis Fischer mit sensiblem Gitarrenspiel und hier und da auch mit Gesang die Lücke. Und schon ist das keine Lücke mehr. Schon ist das etwas ganz Eigenes. Etwas zugleich Sanftes und Stures. Das Beharren darauf, dass erst das gemächliche Tempo die Dinge wirklich zum Vorschein bringt. Die Melancholie hinter den Dingen. Eine neue Entdeckung der Langsamkeit.

Dann erscheint der Kontrapunkt in diesem System: Janina Zamani. In einem Dreischritt aus a) forscher Ansprache ("Na, du kleine Drecksau!"), aus b) Hysterie vor dem vermeintlichen Mörder und aus c) einer schier endlosen Suada darüber, was ihr Tag bis dahin an Zumutungen bereits enthielt, bricht das Leben in diesen gleichförmigen Rhythmus ein. Mateng Pollkläsener kontert das mit einem lakonischen "Manchmal ist echt die Hölle los." Und damit wäre eines der grundlegenden Muster dieses Abends bereits erfasst: Der Einbruch des Nervösen in das Bodenständige. Die ewige Revolte des Hysterischen gegen das In-sich-Ruhende. Das am Ende jeder der drei Episoden immer in zumindest einem Punktsieg für Schotty mündet.

Zwischendrin mischt sich der bislang nur fürs Musikalische, hin und wieder fürs Kommentierende zuständige Denis Fischer mit bizarr hochgetriebenen Auftritten auch als Darsteller ins Geschehen ein. Sein Auftritt als kleinwüchsiger, aber deshalb nur umso hanseatischerer Pfeffersack streift die Grenze zur Farce, überhöht dabei doch aber immer punktgenau die Situation und katapultiert so das Geschehen endgültig aus dem Realismus heraus in die Umlaufbahnen des Übergeordneten, des Symbolischen. Jeder der drei erfüllt eine eigene, eine sehr spezifische Aufgabe, die sich aber, so unterschiedlich sie sind, auf geradezu wundersame Weise zu einem Ganzen fügen. 

Und plötzlich erscheint die Zusammenstellung der drei Episoden nicht mehr wie additiv aneinandergereihtes Erzählen, sondern wie ein bedacht und bedächtig konstruiertes Ganzes, ein kompletter Kosmos. Plötzlich erzählt der Abend von den letzten Dingen. Von den Dingen, die Menschsein ausmachen: von der Liebe, die da aufscheint, wo man sie am wenigsten erwartet. Vom Mord, der sinnlos, weil zumeist unaufgeklärt bleibt. Von den vielen falschen und den wenigen richtigen Zielsetzungen, denen die Menschen hinterherjagen. Auch sehr konkret, von Politik und sozialen Verwerfungen, in der unerträglichen sozialen Überheblichkeit jener Hamburger Millionärswitwe Vivie Hellenkamp zum Beispiel, die Janina Zamani in chargierender, aber deswegen nicht weniger zutreffender, nicht weniger umwerfender Manier ausstellt. Und in Frau Bennings, der Schriftstellerin, tragikomischem Ringen um die richtigen Worte enthält dieser Kosmos sogar seine selbstreferentielle Metaebene. Auf der er die Entstehung des gesamten Kosmos schließlich auf ein Wurstbrot zurückführt. Womit sich der Kreis des Abends bündig schließt: Was mit einem Wurstbrot begann, endet auch dort. Aber wie hat sich das Wurstbrot inzwischen verwandelt!

Und was für das Wurstbrot gilt - "Das Brot steht für das Leben, die Wurst für Verwesung, und die Gurke - hat Witz" -, das gilt auf merkwürdige Weise auch für die drei Teile des Abends: Die Begegnung mit der Prostituierten wird zu einer erstaunlich lebensbejahenden Begegnung; die Konfrontation mit der Außenalsterwitwe verwickelt in so manche Schattenseiten des Todes; und die Begegnung mit Frau Benning wird zum puren Satyrspiel des Abends.

Was ist das? fragt man sich. Wohin sind wir hier geraten? Ist das noch gehobener Boulevard? Ist das noch Theater? Oder schon die Geburt eines neuen Buches der gesammelten Weltweisheit aus dem Geiste des Wurstbrots?